Nachruf Harri Blümel
(1933 - 2021)

Der lange Schatten des Kalten Kriegs, der jahrzehntelangen Spannungen zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion und ihrer gesellschaftlichen Modelle, lag auch auf dem Megina-Gymnasium. Nicht nur, dass die Eifel als Flugzeugträger der NATO galt, die Polarität der Systeme prägte auch die Diskussionen in nicht wenigen Fächern.
So kann man sich leicht vorstellen, dass der 3. April 1975 im Mayener Gymnasium ein lebhafter Tag war. An diesem Tag begann der neue Lehrer für Erdkunde und Geschichte, Herr Harri Blümel seinen Dienst am damaligen Staatlich Neusprachlichen Gymnasium in Mayen. 1933 in Breslau/Schlesien geboren, fand er zunächst eine neue Unterkunft im Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone, SBZ, der späteren DDR. Seine weitere Bildungsbiographie zeigt die neu gestaltete Bildungslandschaft in der „entwickelten sozialistischen Gesellschaft“, als die sich die DDR verstand. Stärker als im Westen lenkten die Behörden die Ausbildung der jungen Generation. Herr Blümel absolvierte daher zunächst eine Ausbildung als Facharbeiter/Tischler im Bezirk Magdeburg. Auf der sogenannten „Arbeiter-und-Bauern-Fakultät“ (ABF) in Halle/Saale legte er dann 1956 sein Abitur ab. Ebenfalls in Halle/Saale studierte Herr Blümel von 1956-1961 an derselben Universität, an der kurz vorher der spätere Außenminister der sozial-liberalen Koalition Hans-Dietrich Genscher (FDP) sein Jura-Studium beendet hatte. In Halle legte er 1961 die „Universitäts-Abschlußprüfung für das Lehramt an der allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule“ ab. Die damalige Bezirksregierung Koblenz stellte 1977 diesen Abschluss mit der wissenschaftlichen Prüfung für das Lehramt an Gymnasien des Landes Rheinland-Pfalz gleich, worin sich die politische Annäherung der beiden deutschen Staaten in den siebziger Jahren widerspiegelt.
Sieben Jahre lang unterrichtete er in den Kreisen Eisenach und Gera als Lehrer. In einer Eingabe vom Februar 1980 schildert er seine zunehmenden Schwierigkeiten mit dem sozialistischen System und führt sie auf die Verabschiedung der neuen DDR-Verfassung im April 1968 zurück. Nach dieser Verfassung von 1968 war die DDR als „sozialistischer Staat deutscher Nation“ die „politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land, die gemeinsam unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus verwirklichen“. Damit war innenpolitisch der Führungsanspruch der SED verankert.1 Nicht mehr bereit diese Gängelung durch die staatlichen Behörden im Schulalltag zu ertragen, wechselte er 1968 an ostdeutsche Staatsbetriebe in Gera in den Bereich EDV-Technologie und bildete sich fortlaufend in Elektronischer Datenverarbeitung fort. Dort arbeitete er im neu aufgebauten Rechenzentrum und leitete die Berufsausbildung. Trotz dieses Rückzugs in eine Bildungsinstitution, die anders als die Oberschule nicht so sehr ideologisch kontrolliert wurde, „mehrten sich die Gewissenskonflikte“. Zusammen mit seiner Frau trat er mutig hervor und kritisierte offen das politische und wirtschaftliche System der DDR – eine „StASI-Mentalität gegenseitiger Observation“, wie er es in einem Schreiben 1993 formulierte. Aufgrund der parallel laufenden Ostverträge (1970-1973) zwischen der Bundesrepublik und den sozialistischen Ländern Osteuropas, „ergab sich“ – so schreibt er selbst – „ein gewisser Schutz, den ich in einem umfangreichen Schriftverkehr nutzte.“ Als Konsequenz seines Verhaltens wurde er „in einen anderen bezirksgeleiteten Betrieb umgesetzt.“ Schließlich bürgerte man ihn 1974 zusammen mit seiner Frau aus der DDR aus. In Westdeutschland angekommen, galt er als Sowjetzonenflüchtling und erhielt den Flüchtlingsausweis C. Wie tief dieser Riss in der Seele der Familie Blümel ging, zeigt ein Dokument von 1983. Dort zeigen Frau und Herr Blümel einen Besuch in Karlsbad/Tschechien an, um Verwandte aus der DDR treffen zu können. Da sie nicht sicher sein konnten, diesen Besuch im damaligen „Ostblock“ unbeschadet zu überstehen, bitten sie im Falle von Schwierigkeiten „um unverzügliche Unterrichtung der Bundesregierung.“
Diese Gradlinigkeit, die ihm das Leben in der DDR unmöglich machte, zeigte sich dann auch im Einstieg in das rheinland-pfälzische Gymnasium. Dies betonte der damalige Schulleiter, Herr OStD Braun in einer Beurteilung vom März 1980. Dort schreibt er, dass Herr Blümel „alle Kraft eingesetzt (hat, um) den enormen Anforderungen eine Umstellung vom Leben und der Berufstätigkeit in der DDR auf gymnasiale Erfordernisse in unserm Lande zu entsprechen.“ Er attestierte ihm gleichzeitig einen „festen Willen, für die ihm anvertrauten Schüler die bestmöglichen Voraussetzungen zu schaffen.“ Diese Reflektiertheit zeichnete auch seinen Unterricht aus, wie viele ehemalige Schülerinnen und Schüler heute im Rückblick einstimmig schildern. Bereits die ersten Beurteilungen seiner Lehrtätigkeit an unserer Schule schildern ihn als umfassend gebildet und systematisch vorgehend. In seinen Fächern Erdkunde und Geschichte leitete er klar gegliederte Unterrichtsstunden, die den Heranwachsenden eine klare Orientierung gaben.
Nach langer und erfolgreicher Tätigkeit an unserer Schule schied Herr Harri Blümel im April 1996 aus dem Schuldienst aus und trat in den Ruhestand. Seine Schule verlor er auch im Ruhestand nicht aus dem Blick und war gern gesehener Gast bei vielen Veranstaltungen des Megina-Gymnasiums. Harri Blümel starb am 25. Juli 2021. Das Megina-Gymnasium trauert um einen verdienten Kollegen.

1Vgl. https://www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-modernisierung/reformversuche-im-osten/neue-verfassung.html

(fg)